Dienstag, 7. Januar 2020

23. Nach Hause kommen



Die Zeit rast an uns vorbei. Wir glauben, dass sie immer von der Vergangenheit in die Zukunft läuft. Doch dies ist eine Illusion. Wenn wir in einem stehenden Zug sitzen und am Nebengleis fährt ein Zug vorbei, haben wir oft den Eindruck, dass wir es sind, die sich bewegen, dass unser Zug fährt. Wir befinden uns immer in der Gegenwart, bewegen uns nur sehr langsam, sind gebunden an Raum und Zeit. Der Informationsfluss fließt immer von der Potenzialität in die Realität. Die Potenzialität ist die Zukunft, das Potenzial unseres Universums. Unser bestehendes Universum, die Raumzeit, ist die Vergangenheit. Die Gegenwart ist das Tor, der Übergang von der Zukunft in die Vergangenheit. Dadurch dehnt sich die Raumzeit, die Vergangenheit aus, und wir haben das Gefühl in die Zukunft getrieben zu werden. Doch da kommen wir niemals an. Wir bleiben immer in der Gegenwart. Es ist unser Bewusstseinsprozess, unser EVA-Prozess, dessen Wirken uns das Gefühl der Zeit vermittelt. Verlangsamt sich dieser Prozess, wird weniger Information verarbeitet, weniger Vergangenheit erzeugt, verlangsamt sich auch die Zeit. Wenn unser EVA-Prozess zum Stehen kommt, fließen Zukunft, Gegenwart und Vergangenheit ineinander, die Zeit steht still. Wir erfahren in einer ausgedehnten Gegenwart alle Vergangenheit und alle Zukunft. Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft sind eins.

Unser individuelles Ich ist nur ein vergängliches Produkt in der Raumzeit, d.h. es ist lokal, gebunden an Raum und Zeit. Mit der Überwindung unseres Ichs überwinden wir die Raumzeit und erfahren die Nicht-Lokalität. Nicht-lokal bedeutet, dass sich etwas nicht an einem bestimmten Ort innerhalb unserer Raumzeit befindet, sondern raum- und zeitlos ist, es also überall und zu jeder Zeit existiert. Nichtlokalität ist ein Merkmal des Übergangs auf die übermentale Ebene. Wir empfangen zum Beispiel über alle zeitlichen und räumlichen Grenzen hinweg Signale von anderen Menschen oder Ereignissen. Hier haben wir Zugriff auf alle Informationen, auf alle jemals erzeugten Fakten. Wir können auf vergangene Orte, auf verstorbene Personen treffen. Wir entdecken längst vergessene Erinnerungen, in denen wir die kleinsten Details erkennen können. Alle Vergangenheit, alle Fakten, sind hier gespeichert, ebenso die potenzielle Information, zukünftige Möglichkeiten. So ist mit Allwissenheit kein Faktenwissen gemeint, nichts was man in Büchern oder bei Wikipedia nachlesen kann, sondern eher eine Art innerer Erkenntnis, ein universelles Verstehen. Eine Erkenntnis, ein Verstehen, das wir nicht innerhalb der Raumzeit erlangen und damit auch nicht vermitteln können.

Es gibt keine dauerhaften Zustände. Die höheren Bewusstseinszustände benötigen viel Energie, sodass wir uns nur sehr kurze Zeit dort aufhalten können. Diese Augenblicke sind vermutlich nur extrem kurz, kommen uns aber länger vor. Dies hängt möglicherweise mit der von Albert Einstein beschriebenen Zeitdilatation zusammen. Während der Meditation erhöhen wir unsere Energie, wir nehmen die freiwerdende Energie des langsamer ablaufenden EVA-Prozesses auf, und die Zeitdilatation (vom lateinischen dilatare, „dehnen“, „aufschieben“) bewirkt, dass alle inneren Prozesse eines physikalischen Systems langsamer abzulaufen scheinen je mehr man sich der Lichtenergie nähert. Haben wir die Lichtenergie erreicht, steht die Zeit still. Ein winziger Augenblick, zu kurz, um ihn in der Raumzeit zu erfahren, wird für den Meditierenden zu einer zeitlosen Empfindung. Wie auch immer, wir müssen, ob wir wollen oder nicht, wieder auf die energieärmeren Bewusstseinszustände zurück. Erwachen ist kein fester Endpunkt. Genauso wie wir aus dem Schlaf erwachen und doch immer wieder in den Schlaf zurückfallen, müssen wir auch nach dem meditativen Erwachen wieder in unser lokales Leben in der Raumzeit zurück. Wenn unser Bewusstsein in unsere Realität zurückkehrt, wechselt es quasi von den unendlichen Informationen der übermentalen Ebene auf den kleinen, endlichen Speicher eines USB-Sticks, den wir mit unserem Körper in der Raumzeit repräsentieren. Deswegen fällt ihm die Rückkehr eher schwer, es kehrt nur sehr ungern zurück. Ein kleiner Teil der Erfahrungen, die wir von unserer Reise mitbringen, findet auf unserem USB-Stick Platz und bleibt uns als Erinnerung erhalten.

Wir können als Erwachte weiterleben und unsere Erlebnisse, unsere Bilder, weitergeben. Allerdings werden wir damit in unserer westlichen Kultur eher auf Ablehnung stoßen, da diese Bilder nicht in das begrenzte materialistische Weltbild passen. Da uns nur die visuelle Sprache zur Verfügung steht, um das Erfahrene zu beschreiben, haben wir Probleme, das Wahrgenommene in Worte zu fassen und alle Nichterwachten haben Probleme das Beschriebene zu verstehen. Die, die wissen, verstehen, ihnen braucht man es nicht zu beschreiben. Die, die nicht wissen, verstehen nicht, ihnen kann man es nicht beschreiben. Ich denke, die übermentale Ebene ist die nächste Stufe der Evolution, die nächste Bewusstseinsebene. Auf den höheren Bewusstseinsstufen entsteht automatisch rechtes Handeln. Dort benötigt der Mensch keine Gebote und Verbote. Er handelt aus einer inneren Einsicht, die ihm den richtigen Weg zeigt. Die Menschheit hat die Ufer dieser Ebene erreicht. Wir sind dabei unsere Außenwelt über das Internet zu vernetzen und uns mit den großen gemeinsamen Wissensspeichern, den Clouds zu verbinden. Wir gelangen vom individuellen Wissen zum globalen Wissen. Die Vernetzung unserer Innenwelt und die Anbindung an die „kosmische Cloud“ steht uns noch bevor. Dadurch gelangen wir vom subjektiven Bewusstsein über ein globales zum kosmischen Bewusstsein. Wir sind schon im Kontakt mit dieser Ebene. Aber wir sind es fast immer unbewusst und haben nur Zugriff auf einen kleinen Teil davon, unserem „persönlichen Benutzerbereich“. Wir stehen vor dem Tor und sehen es nicht. Einige haben diesen Übergang schon vor langer Zeit erkundet, immer mehr machen sich auf diesen Weg. Der Mensch wird diese Ebene besiedeln, denn dort liegt sein Zuhause. Aber es ist dann nicht mehr der Mensch, der an den Ufern gestrandet ist. Der Mensch hinter dem Tor ist nicht mehr der gleiche wie vor dem Tor.

Unser erster Marathon ist meistens der schwerste. Genauso wie für einen Marathon können wir auch den Übergang zur übermentalen Ebene trainieren. Viele, besonders die Läufer unter uns, werden einen Marathon wesentlich einfacher finden, den erfahrenen Meditierenden mag es anders erscheinen. Bei einem Marathon kann man anhand von Entfernung und Zeit überprüfen, ob man das Ziel zeitgerecht erreicht hat und man sich einen Finisher nennen darf. Der Marathon ist ein Lauf in der Außenwelt. Meditation dagegen ist ein Lauf in der Innenwelt. Es gibt hier keine objektiven Messinstrumente.  Der während einer Meditation stattfindende Übergang von unser äußeren zu unserer inneren Welt, äußert sich in einem EEG als Übergang von den sogenannten Beta-Gehirnwellen in den Bereich der Alpha- und Thetawellen und bei tiefer Meditation noch darüber hinaus. Mittels Gehirn-Scans etwa durch die Magnetresonanztomographie (MRT), einem Kernspinverfahren, lässt sich nachweisen, dass sich durch regelmäßige Meditation das Gehirn vergrößert und sich verändert. Doch die Erfahrungen auf der mentalen Ebene lassen sich nicht auf der physischen Ebene abbilden. Auf unserem inneren Lauf gibt es keine objektiven Finisher, es gibt immer nur subjektive Finisher. Bei der Meditation können wir das Ergebnis nicht wirklich messen, wir können es nur erfahren. Es wurden im Beitrag zum Übergang Hinweise für solch eine Erfahrung gegeben. Aber jene, die diese Erfahrung machen, benötigen diese Hinweise nicht. Wenn wir vor dem Tor stehen, werden wir es erkennen. Kein Wissen, keine Erkenntnisse und keine Erfahrungen im Leben sind so sicher, so eindeutig, so unverrückbar wie das Tor. Wenn wir es erfahren, werden wir es erkennen, wir werden uns erinnern. Es ist der gleiche Ort, von dem wir gestartet sind, es ist unser Zuhause.


Keine Kommentare: