Mittwoch, 8. Januar 2020

22. Der Übergang


Je näher wir während unserer Meditation der Stille kommen, desto höher wird unser Energieniveau. Energie ist Schwingung, ist Licht und Klang, ist Leben. Neben Hochgefühlen, starken Glücksempfinden und tiefer Ruhe, werden wir früher oder später auch spirituelle Erfahrungen machen. Diese Erfahrungen werden häufig als Klang- und Lichterfahrungen beschrieben. Für die meisten, die überhaupt bis dahin kommen, ist dies der Endpunkt auf ihrem Weg der Meditation. Doch es geht noch weiter. Tief in die Stille hinein, zur Quelle aller Informationen, zum Tor zu einer höheren Bewusstseinsstufe. Keine Materie kann dieses Tor durchschreiten. Die Ewigkeit kann nicht durch Vergängliches betreten werden, nicht einmal für einen kurzen Augenblick.

Wie kann man diesen Übergang beschreiben? Kommen wir (wieder einmal) zurück zu unserem Bewusstseinsprozess. Alles ist EVA. Begonnen haben wir mit der Eingabe, mit unseren Konzentrationsübungen. Je stärker wir uns konzentrieren, desto mehr fokussiert sich unser Geist auf immer weniger Objekte, desto mehr ziehen wir uns von unserer Außenwelt zurück, bis wir schließlich bei der Leere, dem Nichts, angekommen sind und unser Raumempfinden verschwindet. Unser Bewusstsein verlässt den Raum und wir spüren die Unendlichkeit.

Über die Achtsamkeit, über die Verarbeitung der wahrgenommenen Informationen beeinflussen wir unser Zeitempfinden. Umso mehr wir Informationen einfach so annehmen wie sie sind und je weniger wir sie verarbeiten, also analysieren und interpretieren, desto weniger Fakten werden erzeugt, desto langsamer vergeht die Zeit, bis sie schließlich ganz stehen bleibt. Unser Bewusstsein verlässt die Zeit und wir fühlen die Ewigkeit.

Während der Meditation warten wir auf die Ausgabe. Wir gehen in die Stille und stellen unseren Fokus auf unendlich. Wir warten auf die Erfahrung von Raum- und Zeitlosigkeit, der Unendlichkeit und Ewigkeit. Wir warten auf die Erfahrung der Potenzialität, des reinen Bewusstseins.

Während der Verlangsamung unseres EVA-Prozesses verlangsamt sich auch unser Geist. Wenn wir in tiefer Meditation versunken sind und das Bewusstsein nichts findet, woran es sich festhalten kann, hört es auf Bewusstsein "von etwas" zu sein. Dies kann als Veränderung der Gehirnwellen über ein EEG gemessen werden. Wir entspannen uns immer tiefer und gelangen immer weiter in unser Inneres. Der Zustand ähnelt einem Tiefschlaf. Es ist anfangs schwierig und erfordert viel Training, um sich längere Zeit in diesem Bereich aufzuhalten, ohne einzuschlafen. Fortgeschrittene Meditierende können ihren Körper in einen Tiefschlafzustand versetzen, während ihr Geist aber wach bleibt. Gehirnscans zeigen, dass dabei das Gehirn Energie mit sehr hohen Amplituden verarbeitet. In diesen tiefen Meditationszuständen berichten Meditierende oft von spirituellen Erfahrungen.

Gehen wir mit unserer Meditation noch weiter, steigt die Frequenz der Gehirnwellen sprunghaft an, und zwar in den Bereich der Gammawellen. Sie werden mit mystischen und transzendenten Erfahrungen, Verschmelzungserlebnisse, das Gefühl universellen Wissens und Verlust des Ich-Gefühls in Verbindung gebracht. Ein besonderes Kennzeichen dabei ist die Synchronisation der Gammawellen über weite Bereiche des Gehirns. Die großräumige Synchronisation der EEG-Wellen im Gammabereich könnte ein Indiz dafür sein, dass in dieser Meditationsphase Außen- und Innenwelt miteinander verschmelzen. Bei einer globalen Synchronisation der Gammawellen wären alle Wahrnehmungsinhalte zu einem einheitlichen Ganzen verschmolzen. Alle Trennung ist überwunden. Der Wahrnehmende und das Wahrgenommene werden eins. In Untersuchungen an Meditierenden konnte festgestellt werden, dass die Gamma-Aktivität im EEG durch langjährige Meditation ansteigt und bei Langzeitmeditierenden mit mehr als zehn Jahren Praxis besonders stark ausgeprägt ist. Es gelingt nur mit viel Übung, sein Bewusstsein in einem Zustand zu halten, um auf dieser Ebene klare Wahrnehmungen zu empfangen. Meist blitzen sie immer nur kurz auf, einer Sternschnuppe gleich, ein winziger Moment und doch so hell und klar, bevor man wieder in eine Art Tiefschlaf versinkt. Für die Yogis ist dieser Zustand neben Wachen, Träumen und Tiefschlaf der vierte Bewusstseinszustand, Turiya oder auch Samadhi. Wir erfahren das reine Bewusstsein und der Wahrnehmende wird mit dem Wahrgenommenen identisch. Die Aufhebung der Verbindung von Körper und Geist, das Innehalten des EVA-Prozesses, das Erfahren des Einsseins, der Potenzialität, ist das letzte Ziel unserer Meditation. Es ist der Zustand reinen Bewusstseins. Es ist der Zustand des bewussten Todes.

Wir verändern unseren Bewusstseinszustand. Es werden alle Lebensfunktionen aufrechterhalten. Der Meditierende kann aber in diesen Augenblicken weder aktiv noch passiv in Kontakt mit seiner Umwelt treten. Sein Bewusstsein hat die Dimensionen dieser Umwelt, unserer Raumzeit, verlassen. In der Religionswissenschaft und der Psychologie nennt man diesen Übergang häufig "Ekstase". Dieser Begriff stammt aus dem griechischen und bedeutet "aus sich heraustreten" oder "außer sich sein". Wir schweben aber nicht als dünner Nebel, als etwas Feinstoffliches davon. Wir haben unsere Position in der Raumzeit nicht geändert. Aber Raum und Zeit existieren für uns nicht mehr. Empfindungen in diesem Zustand lassen sich nur sehr schwer beschreiben, da wir in diesen Augenblicken von unserem körperlichen Wahrnehmungsapparat getrennt sind. Alle Wahrnehmungen wie Farben, Töne, Gerüche, Raum, Zeit und Gefühle scheinen zu einer einzigen Empfindung zusammenzufließen, eins zu werden, untrennbar, zeitlos, grenzenlos. Wir erfahren unmittelbar, ohne Umwege über Sinnesorgane. Dies erklärt auch Berichte, nach denen blindgeborene Menschen während einer solchen Erfahrung „sehen“ konnten. Die visuellen Erfahrungen lassen sich nicht durch eine Wiederherstellung der Augenfunktion erklären. Die Betroffenen schildern ihre Umgebung dabei sehr detailliert und präzise. Blinde können sehen und Taube hören wieder, Licht und Klang. Diese einzige übrig gebliebene Empfindung ist keine Empfindung mehr, es ein reines Sein, es ist Gewahrsein. Alle Gedanken sind verschwunden, alles ist Wissen, alles ist Licht. Wir erfahren, was wir wirklich sind. Die Wahrheit liegt außerhalb unseres Verstandes, wir können sie nur als reines Bewusstsein erfassen.

Zusammengefasst besteht diese Erfahrung aus folgenden Empfindungen, welche jeweils unterschiedlich stark ausgeprägt sein können und nicht als einzelne, aufeinanderfolgende Empfindungen, sondern als etwas Einheitliches erfahren werden:

  • Lichtempfinden
  • Geschwindigkeitsempfinden
  • Zeitlosigkeit
  • Raumlosigkeit
  • Glücksempfinden
  • Allwissenheit

Die Erfahrungen sind stets subjektiv und individuell. Eine solche Erfahrung ist zeitlos, sie dauert immer nur einen Augenblick, in dem alles auf einmal geschieht, alles auf einmal erfahren wird und sich doch jeder Augenblick wie eine Ewigkeit anfühlt. Diese Erfahrungen sind nur schlecht mit den Erfahrungen unseres physischen Wahrnehmungsapparates vergleichbar. Es ist die Erfahrung der Potenzialität, des Urgrundes, der Quelle unseres Lebens. Wir können es nur erfahren, wenn wir von den Begrenzungen unseres physischen Wahrnehmungsapparates und den Filtern und Interpretationen unseres Intellekts getrennt sind. Wenn unser EVA-Prozess zur Ruhe gekommen ist. Wenn das „In-Form-Gebrachte“ wieder formlos geworden ist und wir erkennen, wie und was es wirklich ist.

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