Freitag, 10. Januar 2020

20. Auf dem Weg bleiben

Wenn man mit dem anfänglichen Joggen schon etwas weitergekommen ist, wird man vielleicht sogar beginnen für einen Marathon zu trainieren. Während des Marathontrainings, während langer Läufe, frühestens nach ein bis zwei Stunden, kommt man des Öfteren an einen Punkt, ab dem auf einmal alles leicht geht. Man schwebt mühelos über den Boden. Kein Zwicken, kein Schmerzen, nur entspannte Leichtigkeit. Ursache dieses Glücksgefühls sind die Endorphine. Sie sind so etwas wie körpereigene Drogen, dem Opium nicht unähnlich. Endorphine werden vom Körper nach einem gewissen Erschöpfungszustand ausgeschüttet, um diesen zu überwinden. Das was schwer wurde, ist auf einmal ganz leicht und man möchte einfach nur noch laufen. Weiter, immer weiter. Dieses Glücksgefühl nennen Läufer das Läuferhoch oder Runner’s High.

Auch mit unseren Übungen der Konzentration, Achtsamkeit und Meditation wird es etwas dauern, bis man hineingefunden, bis man seinen Lauf gefunden hat. Auch bei der Meditation kommt es nach längerem Training zu ähnlichen Erlebnissen wie beim Lauf, an denen eine Grenze überwunden und alles ganz leicht und einfach scheint. Auch hier werden diese Gefühle durch körpereigene Stoffe, wie die Neurotransmitter Anandamid und Oxytocin hervorgerufen. Dieses High-Gefühl dauert, wie jedes Drogen-High, leider nicht all zu lange. Einige halten dieses High-Gefühl für das Ziel. Doch der beschwerlichste Teil kommt erst noch.

Langläufer kennen nicht nur das Runner’s High, sondern auch den „Mann mit dem Hammer“. Die Leistung fällt rapide ab, man kann nicht mehr, möchte sofort stehen bleiben. Die Ursache dafür ist, dass unser wichtigster Treibstoff, die Kohlenhydrate, restlos verbraucht ist. Unser Körper muss jetzt wie ein Hybridmotor zur Energieversorgung auf eine andere Energiequelle, die Fettverbrennung umschalten. Auch während einer längeren Meditation erleben wir immer wieder Momente, in denen unser Körper oder unser Geist rebellieren. Sie wollen aufhören, etwas anderes tun. Wie beim Laufen, muss man auch hier den „inneren Schweinehund“ überwinden. Dies wird uns mit der Zeit immer besser gelingen, allerdings nur solange, bis wir auch hier auf den Hammermann treffen. Diesmal sind unsere geistigen Energien erschöpft. Hier helfen uns jedoch keine speziellen Getränke oder Gels, die jeder Langläufer auf langen oder entscheidenden Läufen bei sich hat. Die zusätzlichen Energien, die wir bei der Meditation benötigen, um diese Grenze zu überwinden, können wir nicht von außen aufnehmen. Sie kommen aus unserem Innerem, aus unserem Zentrum, aus der Stille. Um diese Grenze zu überwinden, müssen wir lernen, die Energie der Stille zu nutzen. 

Um zur Stille zu gelangen, müssen wir selbst still werden. Wir müssen das Schweigen lernen, das innere Schweigen. Je lauter wir sind, desto mehr Energie verbrauchen wir. Werden wir ruhiger, ebbt unser Gedankenstrom ab, steigt unser Energieniveau. Lange vor der Entdeckung der Gehirnwellen und des EEG schrieb Patanjali in seiner Yogasutra: „Der höchste Bewusstseinszustand, der Zustand des Yoga, ist das Zur-Ruhe-Kommen der sich dauernd verändernden mentalen Muster.“ Patanjali beschrieb auch wie man diese mentalen Muster, die Gehirnwellen, steuern und den Geist zur Ruhe bringen kann. Diese Praxis heißt in seinen Schriften Abhyasa und bedeutet ständiges Üben, anhaltende Beschäftigung mit etwas, Training und Gewöhnung. Alle Übungen, die Gedanken zu beherrschen und den Geist zu beruhigen, sind Abhyasa. Wir können also selbst etwas tun, um auf unserem Weg zur Stille voran zu kommen. Lassen wir uns nicht aufhalten. Machen wir mit unseren Übungen weiter. Bleiben wir auf dem Weg.

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