Mittwoch, 12. August 2020

Realität und Wahrheit

 


„Tatsachen gibt es nicht, nur Interpretationen.“

 (Friedrich Nietzsche, Philosoph)

Was ist real und was ist eine Illusion? Und wenn es real ist, ist es auch wahr?

Für die Naturwissenschaften ist Realität das, was der wissenschaftlichen Betrachtung und Erforschung zugänglich ist. Sie kann jedoch nur das untersuchen, wo Kräfte gemessen werden können. Da diese Kräfte immer an Massen entstehen, ist sie auf die Materie beschränkt. Hier dürfen ausschließlich die Atome den Status der Realität beanspruchen und alles Existierende muss daraus abgeleitet werden. Für uns ist die Realität einfach die Welt, in der wir leben und da wir alle in der gleichen Welt leben, erfahren wir auch alle die gleiche Realität. Oder etwa nicht?

Wie entsteht die Realität? Erschafft sie ein Gott oder entsteht sie aus den Naturgesetzen? Die Realität entsteht durch einen Prozess und dieser Prozess sind wir. Wir, genauer unser Bewusstsein, erschafft unsere Realität. Wie jeder Prozess, besteht auch dieser Prozess aus einem Eingabe-, einem Verarbeitungs- und einem Ausgabeabschnitt. Dabei wird, wie in jedem Prozess, Information, Energie und Materie umgeformt, transportiert oder gespeichert. In unserer Umgebung, unserer Welt, gibt es nur elementare Teilchen und Kräfte, nur Schwingungen. Sie bilden das Potenzial an möglichen Eingabewerten für unseren Prozess. Der Großteil dieser möglichen Eingabewerte liegt außerhalb unserer Wahrnehmungsfähigkeit und kann somit von unseren Sinnen nicht erfasst werden. Dies gilt nicht nur für Farben, Geräusche und Gerüche, es gilt genauso für Gedanken und Empfindungen. Jeder Mensch, ja jedes lebende Wesen empfängt ein individuelles Frequenz- oder Informationsspektrum und kann auch nur dieses verarbeiten. Alles was darüber hinausgeht, können wir weder sehen oder hören, weder denken noch empfinden. Wir erzeugen über diesen Prozess aus unseren potenziellen Möglichkeiten unsere realen Gegebenheiten. Unser Gehirn hat sich nicht entwickelt, um die Welt so zu sehen, wie sie ist, sondern um so gut wie möglich in ihr zurechtzukommen.

Wir erkennen die Umwelt nicht direkt, sondern nur die Wirkungen, die von den Dingen in unserem Bewusstsein hervorgerufen werden. Unser Bewusstsein filtert und verarbeitet diese Eingabewerte. Diese Verarbeitung wird durch unsere Erziehung, unsere Kultur, unser Wissen, unsere bisherigen Erfahrungen, unsere Ängste und unsere Wünsche, beeinflusst. Die Ausgaben oder Ergebnisse des Prozesses sind die handhabbaren Alltagserfahrungen, die wir die Realität nennen. Bei Wesen von der gleichen Art, also etwa zwei Menschen, werden sich die Ergebnisse ähneln, da Sinnesorgane, Gehirn und der Arbeitsprozess gleich, allerdings nicht exakt gleich, aufgebaut sind. Bei unterschiedlichen Wesen, also z.B. Mensch und Hund, weichen die Ergebnisse mehr voneinander ab. Aber auch bei gleichen Wesen weichen die Ergebnisse immer mehr oder weniger voneinander ab, sind nie exakt gleich, abhängig von den Unterschieden in den Komponenten und deren Kommunikation untereinander. Jeder lebt in seiner eigenen Realität und jeder hält seine Realität für die Wahrheit. Doch die Realität ist nicht die Wahrheit. Es gibt keine objektive Realität. Jede Realität ist nur die subjektive Interpretation der einen Wahrheit. Die Frage ist nicht, was ist real und was ist Illusion, denn die Realität ist die Illusion.

"Im Hirn ist der Mohn rot, duftet der Apfel, singt die Feldlerche.“ 
 (Oscar Wilde, Schriftsteller)

Unser größtes Problem ist: Wir verwechseln unsere Realität mit der Wahrheit. Doch die Realität ist nur unsere Interpretation der Wahrheit. Da wir unsere Interpretation als die einzig richtige, als Tatsache, ansehen, sind alle anderen Interpretationen falsch oder zumindest nicht ganz korrekt. Egal ob Links, Mitte oder Rechts, gläubig oder ungläubig, Raucher oder Nichtraucher, Fleischesser oder Veganer und, und, und … Jeder erhebt seine Interpretation zu einer Ideologie, zu einem Dogma, das es zu verteidigen gilt. Anhänger der eigenen Interpretation sind gut und haben immer recht, alle anderen sind böse und haben immer unrecht. Sie müssen deshalb ausgegrenzt, bekehrt, umerzogen, bekämpft oder im Extremfall vernichtet werden. Wir leben in einer Diktatur - einer Diktatur unseres Geistes, unseres Bewusstseins. Diese Diktatur hat die Menschheit seit Anbeginn im Griff und führte zu allen Zeiten zu Gewalt, Folter, Krieg und Blutvergießen. Alles, was um uns herum passiert, ist eine Folge dieser Diktatur des Bewusstseins. Denn unser Bewusstsein erschafft unsere Realität. Es erschafft unsere Realität, weil wir nur in der Realität leben können. Wir können die Realität nicht abschaffen, aber wir können ihre wahre Natur erkennen. Wir können uns von der Realität beherrschen lassen oder lernen sie zu beherrschen.

Wenn wir diese Diktatur überwinden, wenn wir wirklich frei werden wollen, müssen wir unser Bewusstsein erweitern und die Grenzen unserer bisherigen Realität überwinden. Wenn wir unser Bewusstsein erweitern, vergrößern wir unser empfangbares Informationsspektrum. Wir erweitern unsere Verarbeitungsmöglichkeiten und damit auch die Ausgabe, unsere Realität. Dies umfasst auch unsere Materie, unseren Körper. Wir verändern über Stoffwechsel und Hormonsystem unseren Körper auf zellularer Ebene, ändern die physische und physiologische Struktur der Nervenzellen. Damit nehmen wir direkten Einfluss auf die Art unserer zukünftigen Wahrnehmungen. Wir verändern unsere Realität, bis wir sie schließlich als das erkennen, was sie ist: unsere Interpretation der Wahrheit. Eine einzige der unendlich vielen Möglichen. Keine davon ist wahr und keine davon ist nicht wahr. Wahr und unwahr, richtig und falsch gibt es nur in der Realität. Die Wahrheit liegt außerhalb jeder Realität. Überwinden wir die Grenzen der Realität, hören wir auf, die Wahrheit zu interpretieren und erfahren, was wir wirklich sind.